First Trip to Japan

Mitte der 90er Jahre besuchte Patrick Schipmann zum ersten Mal Japan. Seine, für einen damals 18-jährigen, äußerst aufregenden Erfahrungen beschreibt "Paddy" ausführlich in diesem lesenswerten Reisebericht.

Die Reise

An einem Montag, ich glaube es war der 01. Juli 1996 bestieg ich das Flugzeug in Hamburg in Richtung Paris. Von dort aus sollte ich den Flug nach Tokio, Narita Airport antreten. Ich erinnere mich, dass die internationalen Verbindungen in den 90ger Jahren kein Vergnügen waren. Ich musste im Flughafen Charles de Gaulle in Paris ganze 13 Stunden auf meinen Anschlussflug warten. Aber ich glaube, dass gehörte damals einfach dazu. . . Ich war gerade 18 Jahre alt geworden, was alles darüber aussagen sollte, wie es um meine Geduld und Warten im Allgemeinen bestellt war.

Ich erinnere mich, dass gerade die Japaner, die das Flugzeug mit mir bestiegen, mich ein wenig verwunderten. Sie nickten und lächelten alle ausnahmslos freundlich, allerdings wirkte es auf mich beinahe zu freundlich und höflich. Ich wähnte mich absolut gut vorbereitet auf meine Reise, da ich alle möglichen Bücher über Japan, seine Kultur und die Menschen gelesen hatte. Allerdings merkte ich bei diesen ersten Augenblicken, wo ich mit sehr vielen Japanern auf engem Raum das erste Mal zusammen traf, dass all das, was ich glaubte zu wissen, mir überhaupt nicht helfen würde.

Das Flugzeug, das uns nach Tokio bringen sollte, war eine über zwanzig Jahre alte 747-200, in der man noch Rauchen durfte. Um ganz ehrlich zu sein, ich fand das zu dieser Zeit unfassbar cool. Allerdings kann sich diese Meinung sehr schnell ändern, wenn man auf dem mittleren Platz einer dreier Sitzreihe sitzt, eingeklemmt auf über zwanzig Jahre alten, durchgesessenen Stühlen, zwischen zwei kettenrauchenden Japanern, die nur dann nicht geraucht haben, wenn sie geschlafen haben. Nach 14 Stunden Flug roch ich genauso wie das Flugzeug, also wie ein lange nicht ausgeleerter Aschenbecher.

Ich sollte in Narita von einem deutschen Bekannten am Flughafen abgeholt werden, zumindest dachte ich das. Der Bekannte hatte mich wissen lassen, dass ich zum TCAT kommen solle, sobald ich gelandet bin. Ich wusste leider nicht, dass das TCAT (Tokyo City Air Terminal), zwar als ein Teil von Narita Airport gilt, sich allerdings im Zentrum von Tokyo befindet, also 80km vom eigentlichen Flughafen entfernt. Es kostete mich einige Zeit, bis ich verstanden hatte, welchen Bus ich nehmen werden müsse um das TCAT zu erreichen. Ich kann hier noch einmal den Tipp geben, dass die Busse, die zum TCAT fahren, orange sind, also eigentlich sehr einfach zu erkennen. . . Es lag wohl an dem Überkonsum durch das Passivrauchen auf dem Flug, dass mir das etwas schwer fiel. Vielleicht war es aber auch den Problemen geschuldet, die ich gleich bei der Passkontrolle hatte.

Ich wurde vor meiner Ankunft schon vorgewarnt, dass die Beamten des Grenzschutzes in Japan ihre Aufgaben sehr ernst nehmen. Was ich nicht wusste war, dass für Passfotos damals schon in Japan genaue Vorgaben herrschten. Vorgaben, die mein Fotos im Reisepass natürlich nicht erfüllen sollte. . . So hatte ich das große Vergnügen von den freundlichen Beamten in einen Raum zum Warten geführt zu werden, während andere fleißige Beamte meinen Koffer durchsuchten, und meine Identität bei der Deutschen Botschaft bestätigten. Es sollte sich alles als Routine- Überprüfung herausstellen, was trotz alledem sehr aufregend für mich war. Ich schaffte es irgendwann doch zum TCAT, und wurde dort von meinen Bekannten abgeholt. Wir fuhren dann quer durch die Stadt zu seinem Apartment. Er arbeitete in Tokyo für einen deutschen Maschinenbauer, und lebte für japanische Verhältnisse fürstlich. Die Firma bezahlte seiner Familie und ihm ein 200qm Penthouse in einer bewachten Wohnanlage in dem kleinen Stadtteil Jiyugaoka, gleich neben einem Shinto- Schrein. Für mich war das mehr als nur beeindruckend: Für einen Teenager aus Hamburg ist Tokyo, eines der dicht besiedelten Gebiete der Erde, überwältigend. Den nächsten Tag verbrachte ich nur damit mich in der unmittelbaren Nachbarschaft umzusehen, und ich glaube ich habe mich den ganzen Tag unzählige Male verlaufen. . .

Zum Training

Mittwochabend also sollte es so weit sein, und wir fuhren mit der U-Bahn von Jiyugaoka aus nach Ageo. Dort sollte ich das erste Mal auf den Meister treffen, den mein Trainer in Hamburg für mich ausgewählt hatte: Nobetsu Tadanori, Gründer und Präsident der Goju Ryu Nisseikai, 9. Dan Goju Ryu Karate- Do. Seinerzeit musste man von der Station Omiya mit einer Arte S-Bahn durch Reisfelder nach Ageo fahren. Heute führt einen diese Strecke durch Häuserschluchten, die von Wolkenkratzern gebildet werden.

Wir benötigten eine gefühlte Ewigkeit, um dort anzukommen, aber zumindest eineinhalb Stunden. Es war sehr schwül und heiß, obwohl es bereits früher Abend war. Hätte ich meinen Bekannten nicht dabei gehabt, ich hätte das Dojo in Ageo nie gefunden. Denn anders als in Europa muss nach der Hausnummer 1 in Japan nicht zwingend die Hausnummer 2 kommen. . . Wir fragten uns also durch die Nachbarschaft, bis wir an ein klassisches japanisches Einfamilienhaus kamen, an welches ein großer, hell erleuchteter, mit allerlei Kram zugestellter, vorgelagerter Raum angeschlossen war. Über dem Eingang hing ein Schild mit den Schriftzeichen des Karate- Do, und eine kleine Plakette der IMAF (International Martial Arts Federation) war an einem der Pfosten der Eingangspforte angebracht. Ich wusste also, hier muss es sein. Aus dem Raum hörte man das Geräusch von Wasser, als wenn jemand die Wände abspritzen würde. Tatsächlich war es ein älterer, kleiner Mann, mit einem Gartenschlauch und einer Zigarette im Mundwinkel, der den Holzboden des Raums abspritzte. Ich folgte meinem Bekannten, der einen guten Abend wünschte und nach dem Trainer fragte. Der alte kleine Mann schaute nicht einmal auf, sondern fragte nur, ohne uns eines Blickes zu würdigen, während er weiter den Holzboden mit dem Gartenschlauch nassspritzte, was uns zu ihm bringt. Die Erklärung folgte in holprigen Japanisch, besserem Englisch, und einem nun sehr redseligen, rauchenden älteren Herrn, der sich als bald als Nobetsu Tadanori vorstellte.

Shihan Nobetsu war über aus freundlich und bot mir an gleich die nächsten Tage sehr früh ins Dojo zu kommen, damit ich gleich mit dem Training beginnen konnte. So würde ich die nächsten Tage ungefähr um 4:00 Uhr morgens aufstehen, um rechtzeitig um 7:00 Uhr am Dojo zu sein. Nobetsu Shihan würde mich an diesen Tagen immer bis 12:00 Uhr unterrichten. Neben Kihon würden wir vor allen Dingen Kata üben. Nach den ersten beiden Trainingstagen bat er mich am Abend wieder zu kommen, denn da würde in seinem Dojo das Wettkampftraining stattfinden. Zumindest hatte ich das so verstanden.

Also, jung und dumm wie ich war bin ich voller Vorfreude an diesem Abend wieder zum Training gefahren. Ich war doch sehr verwundert als ich der einzige Braungurt war, der einzige Europäer, und anscheinend auch noch der jüngste. Das Training begann mit fünf Minuten Übungen zum Auflockern, gefolgt von 10 Minuten Kihon (Full-Speed-and-Power Kihon, wie Shihan Nobetsu sagen würde). Danach sollten wir kämpfen. Was heißt wir, also vielmehr ich sollte kämpfen. Der Hauptkampfrichter war Shihan Nobetsu, die vier Seitenrichter waren seine ältesten Schüler, mein Gegner war sein Sohn. Ab diesem Punkt wird die Geschichte etwas langweilig, denn natürlich habe ich nicht eine winzige Chance gehabt, nein, ich wurde zerstört. Hier war aber nichts unfaires passiert: Die Tatsache ist, das in Europa ein großes Missverständnis vorherrschte, wie man im Kumite kämpfen sollte, und wie es in Japan gemacht wird. Wir kämpften ohne Faustschützer, Mundschutz war erlaubt aber unüblich, und die Techniken auf Chudan- Höhe wurden nie abgestoppt. In Shihan Nobetsus Dojo wurden außerdem die Treffer auf Gedan- Höhe nie abgestoppt, und die Techniken auf Jodan- Höhe kontrolliert getroffen. Wovon nach dem ersten Kampf gegen seinen Sohn, und den zweiten Kampf gegen seinen Neffen meine Schienbeine einiges erzählen konnten. Ich wollte mir nichts anmerken lassen, so biss ich die Zähne zusammen, hielt das Training durch bis zum Ende (es endete so, wie es angefangen hatte, mit Full-Speed-and-Power Kihon), zog mich um und machte mich auf den Heimweg. An dem Bahnhof von Ageo wurde mir immer mehr bewusst, dass mich die Leute auf der Straße anstarrten. Es ist eigentlich nicht so ungewöhnlich, dass man in Japan als Europäer auf der Straße angestarrt wird. Aber es war spät am Abend, dementsprechend dunkel, und die Leute starrten mich deutlich auffälliger an, wenn mein Gesicht gerade durch eine der Straßenlaternen erhellt wurde. Ich entschied mich also, auf der Bahnhofstoilette mir die Sache einmal anzuschauen. Es war schlimm, sehr schlimm. Mein Gesicht war taub, aber das störte mich erstmal nicht. Allerdings sah ich aus, als wäre ich in einen fahrenden LKW gerannt. Man möchte meinen ich übertreibe an dieser Stelle, das tue ich leider nicht. Mein Bekannter empfahl mir am nächsten Morgen eine Sonnenbrille zu tragen, in der Apotheke Aspirin zu holen, später am Tag ins Krankenhaus zu fahren (es war Samstag), und da Trainingsfrei war an diesem Tag, in mich zu gehen, ob ich wieder dorthin gehen wolle.

Ich wollte, und ich tat es. Ich erreichte das Dojo wie die Tage zuvor um kurz vor 7:00 Uhr morgens. Shihan Nobetsu wartete am Eingang zum Dojo, pustete den Rauch seiner Zigarette in die Morgendämmerung, und begrüßte jeden seiner Schüler persönlich. Als ich an der Reihe war grinste er ein wenig, wünschte auch mir einen guten Morgen, und sagte noch etwas anderes, das ich aber nicht verstehen konnte, da meine Kenntnisse in Japanisch quasi nicht existieren. Ein Kanadier, der als Englischlehrer in Tokyo vor vielen Jahren gestrandet war, nahm mich zur Seite und fragte mich: „Weißt Du was er Dir gerade gesagt hat?“. Ich wusste es natürlich nicht. Er guckte mich mit großen Augen an und meinte weiter: „Er hat gesagt, ich wollte sehen, ob Du wieder kommst. Ab jetzt bringe ich Dir etwas bei“.

Zum Schluss...

Er nahm sich von nun an bei jeder Trainingseinheit besonders viel Zeit für mich. Ich verbrachte manchmal ganze Tage im Dojo. Dabei legt er besonders viel Wert auf die Bunkai der Katas, seine Bunkai, wie er immer betont. Und so war der Trainingsablauf jeden Tag immer der gleiche, nur immer alles andere als Langweilig: Es begann mit Kihon, ging über zu Kata, und zum Schluss Kumite. Shihan Nobetsu fand häufig einen fließenden Übergang von Bunkai zu Kumite, wobei er immer wieder betont, dass Kata „Kampf“ ist. Ich werde den „Knoten“ im Kopf nie vergessen, den ich jedes Mal bekommen habe, wenn ich die Bunkais zu den Katas Gekisai-Ichi, Gekisai- Ni und Tenchu ohne Pause mit einem Partner vorführen sollte.

Über die Jahre, die nun zwischen diesem ersten intensiven Erlebnis und meinem weiteren Training liegen, ist mir eines in der letzten Zeit sehr bewusst geworden: Ich habe damals nicht einmal grob verstanden, was ich dort alles gelernt habe. . . Tatsächlich erlebe ich es so, dass ich das Erlernte erst in den letzten zwei bis drei Jahren wirklich angefangen habe zu verstehen. Es mag zum einen daran liegen, dass ich nicht der schnellste bin. . . Aber wenn ich diesen Aspekt einmal außer Acht lasse, dann ist es so, dass dieses geballte Wissen von Shihan Nobetsu einen Jungen Menschen überfordern musste, da vieles erst mit einer gewissen Trainingserfahrung (in Jahren gemessen) verstanden werden kann. Auf jeden Fall bin ich heute sehr dankbar für mein gutes Gedächtnis.

Ich erinnere mich aber auch sehr gerne an die Kämpfe, zwischen hoch klassigen Gegnern, die natürlich nie aufgezeichnet wurden, weil es für die Japaner ganz normale Trainingskämpfe waren, aber für mich schon beinahe eine übermenschliche Perfektion darstellte. Einen Kampf erinnere ich besonders stark, als Kanazawa Nobuaki als Gast am Kumite- Training teilnahm, und gegen einen der besten Wettkämpfer aus Shihan Nobetsus Dojo kämpfte. Es ging wohl in erster Linie darum, dass Shihan Nobetsus Schüler um die Erlaubnis gebeten hatte ein eigenes Dojo zu eröffnen, Shihan Nobetsu ihn aber noch nicht dafür bereithielt. So oder ähnlich wurde mir damals die Geschichte erzählt. Kanazawa Nobuaki gewann gleich die erste Runde durch technischen K.O. (Mawashi-Geri Jodan). Aber, es folgten danach noch einige Runden. . . Ich kann nur sagen, ich hatte wirklich Mitleid mit Shihan Nobetsus Schüler.

Ich verstehe jedoch heute durch meine Erlebnisse die Aussage von Funakoshi Gichin „(…) Es gibt nur ein Karate.“ Ich habe dort erlebt, dass es über die vielen verschiedenen Stile und Schulen weniger Grenzen gibt, und man sich vielmehr austauscht, als das in Europa der Fall ist. Ganz im Sinne von „das Kind hat viele Namen, es bleibt aber das selbe Kind.“

Ich sollte Shihan Nobetsu noch einige Male wieder treffen. Bei unserem letzten Treffen erzählte ich ihm davon, dass wir planen die Gima-Ha Shotokan Association Germany zu gründen, was ihn sehr gefreut hat, da er ein sehr enger Freund von Shihan Higuchi ist. Allerdings gab er mir auch einen persönlichen Rat, den ich später auch beherzigen sollte: Er riet mir, mich auf eine Sache zu konzentrieren, entweder Gima-Ha Shotokan, oder Nisseikai Goju- Ryu; er meinte, es gibt schon zu viele Menschen auf der Welt, die alles machen würden, aber davon nichts richtig...